Converse, bietet als Multiskalen-Materialmodellierungssoftware neben der einfachen Erstellung von anisotropen Materialkarten weitere nützliche Tools. Der Material-Editor in Converse und S-Life Plastics ermöglicht beispielsweise auf anschauliche Weise die Bewertung des Grades der Anisotropie eines Werkstoffes bzw. Bauteils. Auch können für erste abschätzenden Analysen einfache quasi-isotrope Materialkarten erstellt und exportiert werden. Dies erlaubt vergleichende Analysen, ohne dass bereits eine Faserverteilung vorliegt. Im Folgenden werden zunächst einige grundlegende Begriffe im Umfeld der Anisotropie von spritzgegossenen kurzfaserverstärkten Kunststoffen kurz erläutert. Anschließend wird beschrieben, wie der „Composite Calculator“ und das ab Version 1.5 des PART Software Package neue „Polar-Diagramm“ nutzbringend verwendet werden können.
Werkstoff- und Bauteileigenschaften
Bei kurzfaserverstärkten Kunststoffen kann man, ebenso wie bei den lang- und endlosfaserverstärkten Werkstoffen, im eigentlichen Sinne nicht von Werkstoffeigenschaften sprechen. Vielmehr handelt es sich um Bauteileigenschaften, da der „Werkstoff“ erst während der Herstellung des Bauteils entsteht. Charakteristisch für faserverstärkte Werkstoffe ist der Schichtaufbau. Während dieser bei den endlosfaserverstärkten Werkstoffen bewusst in das Bauteil hinein konstruiert wird, entsteht er bei spritzgegossenen kurzfaserverstärkten Werkstoffen infolge der Strömungsvorgänge bei der Werkzeugfüllung (Bild 1). Die über der Bauteildicke überlagerten mechanischen Eigenschaften der „Einzelschichten“ entsprechen dann den Werkstoff- bzw. Bauteileigenschaften an dieser Stelle. Hierbei handelt es sich dann um sogenannte homogenisierte Eigenschaften, da keine Unterscheidung mehr hinsichtlich der Einzelbestandteile des Verbundes also Faser und Matrix als auch der Schichten erfolgt.
Orientierungstensor und Faserorientierung
Zur Ermittlung solcher, homogenisierter mechanischer Eigenschaften, ist die Kenntnis der lokalen Mikrostruktur, also hier der Faserorientierung, erforderlich. Diese geht dann in das Multiskalen- Materialmodell ein, welches den real heterogenen Werkstoff homogenisiert. Auf Details wird an dieser Stelle nicht eingegangen. Experimentell kann die Faserorientierung z.B. mittels µCT-Messungen ermittelt werden (Bild 2).
Dies setzt natürlich schon die Existenz eines Bauteils voraus. Deshalb wird üblicherweise die Faserorientierungsverteilung mittels einer Spritzgießsimulation numerisch ermittelt. Die Spritzgießsimulation liefert die Faserorientierungsverteilung allerdings nur mittelbar über den Orientierungstensor. Aus dem Orientierungstensor muss mittels geeigneter mathematischer Verfahren die räumliche Verteilung der Fasern rekonstruiert werden (Bild 2). Ein Problem dabei ist, dass der Orientierungstensor keine Aussage über eine eineindeutige Faserorientierungsverteilung, im Sinne einer Winkellage der Einzelfasern in Bezug auf ein Referenzkoordinatensystem, zulässt.
In Bild 3 sind beispielsweise zwei unterschiedliche Faserorientierungen dargestellt, die beide durch den identischen Orientierungstensor beschrieben werden können (a1|a2|a3 = 50|50|0). Mechanisch, sind die beiden Faserorientierung jedoch unterschiedlich. Betrachtet man z.B. die richtungsabhängigen Steifigkeiten, so ergeben sich für die orthogonal zueinander ausgerichteten Fasern nur in 0° und 90° Richtung identische Eigenschaften, während bei der Platte mit den in der Ebene zufällig verteilten Fasern in jeder Ebenenrichtung identische Steifigkeiten vorliegen. Das mathematische Verfahren, das verwendet wird, um den Orientierungstensor wieder in eine Faserorientierungsverteilung zurückzurechnen, sollte diesem Zusammenhang Rechnung tragen. Eine Annahme, die man hier sinnvollerweise treffen kann, ist die, dass vorab so wenig wie möglich Annahmen über die Ausrichtung der Fasern gemacht werden und dabei gleichzeitig die sich ergebende Faserorientierungsverteilung in Übereinstimmung ist mit dem gemessenen, bzw. aus der Spritzgießsimulation erhaltenen Orientierungstensor. Dies entspricht einem sogenannten Zustand „maximaler Informationsentropie“. Anders ausgedrückt, bedeutet dies, dass das einfachste Modell von einer Anzahl möglicher Modelle auszuwählen ist, dass den gegebenen Zustand widerspruchsfrei beschreibt. In PART Engineering Software wird aus diesem Grunde das sogenannte „Maximum Entropieverfahren“ zur Rekonstruktion der Faserorientierungsverteilung aus dem Orientierungstensor verwendet. Das Verfahren liefert in der Regel sehr gute Übereinstimmungen zwischen berechneten und gemessenen Faserorientierungsverteilungen [1].
Composite Calculator: Hilfreiches Tool für Plausibilitätschecks und einfache Analysen
Die oben dargestellten grundlegenden Zusammenhänge bilden sich im Material-Editor von Converse und S-Life Plastics im Composite Calculator ab. Dieses Tool, ermöglicht eine schnelle Analyse der Auswirkung unterschiedlicher Faserorientierungsverteilungen auf die anisotropen mechanischen Kennwerte. In Bild 4 ist ein Screenshot des Composite Calculators dargestellt.
In der Übersichtstabelle sind die neun Steifigkeitskennwerte des anisotropen Werkstoffs sowie die drei Wärmeausdehnungskoeffizienten zu sehen. Diese werden über das interne Multiskalenmodell jeweils für unterschiedliche Werte des Orientierungstensors berechnet. Die Werte des Orientierungstensors können als Eigen- bzw. Hauptwerte (a1|a2|a3) links frei eingegeben werden (Bild 4, rot). Von besonderer Bedeutung ist hier die sogenannte „effektive Orientierung“. Hierunter ist diejenige konstante, über der Wanddicke etwa eines Prüfstabs gemittelte Orientierung zu verstehen, die zu identischen Steifigkeiten (Zug-E-Moduln) führt wie die tatsächliche inhomogene Verteilung der Faserorientierung (Bild 1, links). Man kann die effektive Orientierung so einstellen, dass der Wert von E11 (E-Modul in Hauptausrichtung der Verteilung) dem in Versuchen gemessenen oder aus einer Datenbank entnommenen E-Modul parallel zur Fließrichtung in etwa entspricht (E11 = E0, Bild 4, rot=grün). Dann ist diese gefundene Orientierung ein guter Schätzwert für den Orientierungszustand in der Probe, ohne dass hierzu eine CT-Messung oder eine Spritzgießsimulation durchgeführt werden muss. Oder andersrum, ist der Orientierungstensor aus einer Messung oder Spritzgießsimulation bekannt, so können direkt für diese Position im Bauteil die anisotropen mechanischen Kennwerte bestimmt werden. Beide Vorgehensweisen können im Rahmen von Plausibilitätschecks in einfacher Weise nützlich sein.
Weiterhin sind im Composite Calculator für bestimmte ausgezeichnete Orientierungszustände spaltenweise die zugehörigen mechanischen Kennwerte dargestellt. Dies ist der vollorientierte Zustand (100|0|0) als Extremalzustand, wenn alle Fasern exakt in einer Richtung liegen, was bei spritzgegossenen kurzfaserverstärkten Bauteilen faktisch niemals auftritt. Sowie die Zustände der maximal regellosen Verteilung in der Ebene (50|50|0) und im Raum (33|33|33). Der Random 3D Zustand entspricht also einer Quasi-Isotropie, mit identischen Kennwerten in alle Richtungen. Da sich jedoch Spritzgussbauteilen infolge der vornehmlich laminaren Strömung der Kunststoffschmelze eher eine planare Faserorientierungsverteilung einstellt, ist der Random 2D bedeutsamer.
Aus der Praxis ist bekannt, dass in Bezug auf eine Bauteilgrundsteifigkeit, die Verwendung eines in Fließrichtung der Schmelze gemessener E-Modul, z.B. aus einer Datenbank, für eine vereinfachte isotrope FEM-Analyse zu hohe Bauteilsteifigkeiten liefert. In der Praxis verwendet man aus diesem Grund oft einen empirischen Abminderungsfaktor für den E-Modul, mit dem der nominale E-Modul aus dem Datenblatt auf ca. 65-70% abgemindert wird. Es hat sich gezeigt, dass damit für typische technische Bauteile (Glasfasergewichtsanteil 20-50 %, Wanddicken 3-4 mm, meist biegedominierte Last) die Bauteilgrundsteifigkeit in vielen Fällen gut abgebildet werden kann. Dies gilt allerdings ausschließlich für die Steifigkeit, nicht für die Festigkeit und für Bauteile, die keine ausgewiesene Faservorzugsrichtung in Lastrichtung zeigen.
Die im Composite Calculator ermittelten Steifigkeiten für den Random 2D Zustand parallel und senkrecht zur Faserhauptausrichtung (E11 und E22) können nun verwendet werden, um damit einen werkstoffspezifischen Wert für einen solchen Abminderungsfaktor zu bestimmen. In Bild 4 (blau) zeigt sich für den Random 2D Zustand beispielweise ein E-Modul E11 = 4411 MPa. Aus einer Datenbank wird ein Zug-E-Modul E0 = 6500 MPa entnommen (Bild 4, grün). Setzt man beide Werte ins Verhältnis, so ergibt sich im Beispiel hier ein Faktor von ca. 0,67. Diese Vorgehensweise liefert oft Werte mit einer erstaunlich guten Übereinstimmung mit den bereits erwähnten in der Praxis bekannten empirischen Abminderungsfaktor. Dieser Wert kann dann als Abminderungs- bzw. Skalierungsfaktor verwendet werden, um die Spannungs-Dehnungs-Kurve damit zu skalieren. Auch dies kann im Material-Editor über den Stress Scaling Factor bei der Definition von isotropen Materialkarten durchgeführt werden (Bild 5). Wie bereits erwähnt ist dies nur eine grobe Abschätzung in Bezug auf eine Bauteilgrundsteifigkeit, eine Festigkeitsbewertung auf Basis einer solchen skalierten Kurve sollte nicht durchgeführt werden.
Abschließend, kann die Materialkarten mit der skalierten Kurve direkt in jeweiliger Solver-Syntax exportiert werden. Für erste abschätzenden Analysen ist dies eine einfache Möglichkeit mit isotropen Materialmodellen zu arbeiten, um vergleichende Analysen durchzuführen, ohne dass bereits eine Faserverteilung vorliegt.
Polar-Diagramm: Einfluss von Faser- und Lastrichtung schnell bewerten
Bei anisotropen Werkstoffen bzw. Bauteilen, ist zur Beurteilung der mechanischen Situation an einer bestimmten Position im Bauteil wichtig, wie die Faserrichtung und die Lastrichtung zueinander ausgerichtet sind. Wie oben dargestellt, werden hierdurch Steifigkeit und Festigkeit bestimmt. Ab der Version 1.5 des PART Software Package kann mittels eines Polar-Diagramms auf einfache Weise eine anschauliche Beurteilung dieses Einflusses erfolgen. In Bild 6 ist ein Polar-Diagramm für ein PA66+GF35 exemplarisch dargestellt.
Die 0°-Richtung entspricht hier der Anspritzrichtung (inflow) des Prüfkörpers bzw. der Platte. Konzentrisch abgelesen werden können die Steifigkeiten (Zug- und Schubmoduln) des Verbundwerkstoffs für verschiedene Last- bzw. Ausschnittlagen. Beispielsweise ergibt sich für einen Winkel von 0° ein Zug-E-Modul von ca. 6400 MPa, bei 90° hingegen nur noch ein E-Modul von ca. 2300 MPa.
Interessant ist die Betrachtung unter einem Winkel von 45°, hier zeigt sich ein E-Modul von ca. 3.200 MPa. Häufig wird bei der Ermittlung von anisotropen Werkstoffkennwerten ein Winkel von 45° zur Fließrichtung verwendet, um neben den extremalen Winkellagen 0° und 90° eine weitere Stützstelle für die Werkstoffkennwerte zu haben. Das Polar-Diagramm zeigt nun sehr anschaulich, dass der zu erwartende E-Modul bei 45° nicht etwa mittig zwischen den extremalen Lagen liegt, sondern sich mit 3.200 MPa näher an der 90° Lage befindet. Der mittige Wert von ca. 4350 MPa wird besser durch eine Ausschnittposition von 30° angenähert (4200 MPa). Diese wäre also im Hinblick auf eine Kalibrierung eines anisotropen Materialmodells günstiger. Dieses hier von Converse rein rechnerisch ermittelte Ergebnis hat sich auch in Versuchen an vergleichbaren Werkstoffen experimentell bestätigt.
[1] Breuer, K.; Stommel, M.; Korte, W.: Analysis and Evaluation of Fiber Orientation Reconstruction Methods. J. Compos. Sci.2019, 3(3), 67, https://doi.org/10.3390/jcs3030067
Autor
Dr. Wolfgang Korte ist Geschäftsführer bei der PART Engineering GmbH, Bergisch Gladbach